Fürst Heinrich LXXII.


Wilhelm Wolff


Der Erbkaiser


Wilhelm Wolff

Kaiserwahlskandal

Aus dem Reiche. »Du hast ja gar keinen Vater!«, warf ein Junge dem andern vor, während sie sich auf der Straße bei den Haaren hin- und herzausten. »Mehr als Du, dummer Junge!«, antwortete aufs tiefste empört der andere.

Das germanische »Reichs«-Volk kann in ähnlicher Weise jeder Nation auf dem Erdenrunde entgegentreten. Bei den Haaren kann man es zausen nach Belieben, man kann es knuten und maulschellieren; man kann es mit Kot bewerfen und ihm ins Gesicht spucken. Ein Ruhm bleibt ihm unangetastet, ein Ruhm. der alle spießbürgerliche Borniertheit, alle Misere im Innern und nach außen vergessen läßt: der Ruhm, mehr Landesväter zu haben als die Völker des Erdballs, mit Einschluß der Zigeuner zusammengenommen.

Die alten Römer, die wir als Gymnasiasten und Professoren in gewisser Beziehung pflichtschuldigst zu bewundern haben, brachten es in ihrer besten Zeit noch nicht bis zu einem Dutzend Kaiser oder Gegenkaiser. Sie waren hinter uns schmählich zurück: Wir schlagen die alten wie die neuen Völker mit der einfachen Bemerkung aus dem Felde, daß wir mehr als ein halbes Schock teurer »Landesväter« bis auf den heutigen Tag zu konservieren verstanden haben. Es stehe irgendeine Nation des ganzen Erdrunds auf und weise uns einen ähnlichen Reichtum nach! Kühn fordern wir alle Jahrhunderte in die Schranken!

Da uns der Himmel mit so außerordentlichem Segen begnadet hat, der uns jährlich bloß die Lumperei von 50 Millionen Talern Preußischer Courant kostet: so sollten wir dankerfüllt uns damit begnügen.

Wir Reichskinder sind nun wohl auch ziemlich zufrieden, ja mehr als zufrieden. Allein unsere geliebten und sehr teuren »Landesväter« haben in unablässiger Fürsorge für das Reich entdeckt, daß wir zu den 3 Dutzend Landesvätern noch eines 37sten, obersten Landesvaters bedürfen.

Es wäre das ganz herrlich ohne die kitzlige Frage: Wer soll oberster Landesvater sein?

Unsere gottbegnadeten Fürsorger haben längere oder kürzere Zeit die germanischen »Vaterfreuden« durchgekostet. Dürfen wir uns wundern, wenn nun jeder sie zur höchsten Potenz zu erheben, resp. sich zum obersten Landesvater zu machen sucht?

Ist nicht jeder unserer Landesväter par inter pares, gleich unter Gleichen? Hätte Heinrich der 281ste von Reuß-Greiz sich nicht während ein paar Dezennien auf dem bekannten Prinzip wund geritten und infolge dessen abgedankt: so wäre er der Mann.

»Böse Beispiele verderben gute Sitten.« Diesen schönen Spruch scheinen die ehrenwerten und uns sehr teuern Landesväter gänzlich vergessen zu haben. Statt uns mit Friede und Einheit voranzuleuchten, balgen sie sich untereinander herum, ärger wie Hunde und Katzen, und entblößen dabei gegenseitig ihre Scham, daß wir Reichskinder wohl »rot« werden müssen.

Ihre Majestäten von Vaduz und Bückburg halten sich an den Ohren gefaßt und beweisen sich gegenseitig durch Püffe, daß jeder von ihnen der würdigste ist, aus dem Frankfurter Hexenkessel mit der Kaiserkrone bewappnet unter die wonnebeseligten Reichsbürger hervorzuspringen. Der hessische Kurfürst keilt sich mit dem hessischen Großherzog. Jener haut mit der Keule zu, die er dem Wilhelmshöher Herkules entlehnte; dieser hat trotz seines Schildknappen Jaup nicht zu parieren vermocht und zieht sich heulend, aber seinen Ansprüchen nicht entsagend, in seine Behausung zurück. Dort reiten Vaterwonne schnaubend der bayerische Reichs-Max auf einem Oxthoft aus dem Bockskeller und die hannoveranische Majestät auf dem als ungeheures Roastbeef präparierten Stüve in die Schranken. Aus einer andern Ecke stürzt die Dresdner Majestät hervor, in Kleidung und Rüstung jenen am 1. Januar 1848 leider zu früh verschiedenen zweibeinigen Bärenmützen täuschend nachgemacht. Von dritter Seite schreitet ein schwäbischer Gottesgnadenmann in die Schranken, dessen Krone mit dem niedlichen Nachthäubchen der Fräulen Stubenrauch umhangen ist. Mit geballten Fäusten manövrieren unsere altenburgischen, schwarzburgischen, hechingischen, mecklenburgischen, meiningischen, oldenburgischen etc. Landesväter dazwischen. Nur Se. Majestät der Großherzog von Baden steht, in die Lektüre von Kaspar Hausers Lebensgeschichte vertieft, auf jede Mitbewerbuag resignierend da.

Wie wenn eine Menge kleiner Kläffer sich eine Zeitlang herumgezaust und Lärm geschlagen und nun auf einmal still werden und den Schwanz zwischen die Beine nehmen, sobald große Bulldoggs, ungarische Wolfshunde etc. unerwartet zwischen sie fahren: so stehen plötzlich unsere kleineren geliebten Landesväter verblüfft und erschrocken da, als sie die Majestäten mit dem Kroatenkopf, dem Wrangelschen Schleppsäbel und den Reichs-Max und das Roastbeef und die Dresdner Bärenmütze unter sich gewahren.

Aber bald erwacht die Kampfeslust von neuem. Der kroatische stürzt auf den christlich-germanischen Landesvater los mit einem Ziska-Schwerte.

Die schwarz-weiße Majestät wechselt ebenfalls die Farbe und wird schwarz-gelb vor Ärger.

Da ruft von fern eine bekannte Walhalla-Stimme in den urwaldisch-teutoburgischsten Satzkonstruktionen:

»Haltet ein, denn nicht gedacht habend meiner, schnöden Undanks, Ihr Euch selber zerfleischt: dem geliebten Reichsvolke zum üblen Muster seiend. Ich, der Teutscheste von Teuts Söhnen, war augenblicklich außer Kondition, mich erbietend Euch für Teutschlands Kaiserthron: Lola Eure Kaiserin! billig machend, viel gespart habend; Walhalla nach Frankfurt versetzend: Ihr sämtlich hinein und auch meinen Beisele und Matthy, Beseler und Welcker und Mosle und sonstige Teutsche!«

Einen Augenblick ruhen die Schwerter.

Benutzen wir diese Pause, um uns ebenfalls einen Augenblick auszuruhen. Bald geht der Reichsvater-Spektakel wieder los; und schade wär's, wenn sich die Reichskinder diese karnevalistische Ergötzlichkeit entgehen ließen.

Neue Rheinische Zeitung, 17. Januar 1849.



Fürst Heinrich LXXII.


Wilhelm Wolff


Der Erbkaiser


Letzte Änderung: 15. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/wolff8.html