Warnung vor der Neuen Rh. Zeitung


1848


Die Langeweile...


Georg Weerth

FROMME WÜNSCHE

Seit heute morgen bilde ich mir steif und fest ein, daß ich der Erzherzog Reichsverweser bin.

"Habe ich nicht einen kahlen Kopf? Bin ich nicht ein freundlicher alter Herr?" fragte ich meine Kammerjungfer, als sie mir den Kaffee brachte. Sie sah mich erschrocken an "Einerlei! Ich bin der Erzherzog Johann!", und würdig erhob ich mich, und "Entfernen Sie sich, Fräulein!" sprach ich und "Lassen Sie niemand zu mir herauf, keinen einzigen meiner Minister, weder Herrn Schmerling noch Herrn Beckerath, denn allein will ich sein, allein mit meinem Volke --"

Da setzte ich mich auf meinen Diwan und griff nach den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M.".

Lange habe ich mich danach gesehnt, die frommen Wünsche meiner Völker einer genauern Berücksichtigung zu unterwerfen. Der Augenblick ist endlich gekommen, wo ich den vielen Petitionen an die Nationalversammlung eine allerhöchst eigene Durchsicht angedeihen lassen werde.

Voyons!

(2566) Gesuch des Kaminfegers Friedrich Christmann zu Frankenthal um eine Kaminfegerstelle."

Würdiger Kaminfeger Christmann, du bist sehr bescheiden. Aber wie soll ich dir helfen? Ich verstehe mich auf die Böhmen, auf die Kroaten, aber auf die Schornsteine -? Doch die Stelle eines Reichs-Zentral-Kaminfegers ist noch nicht besetzt. Ich werde die Eingabe dieses Frankenthalers dem Prioritäts- und Petitions-Ausschuß aufs dringendste anempfehlen.

(1389) Eingabe des Professors und Jubilars der medizinischen Fakultät zu Bonn, Geheimen Hofrats Dr. Harleß, mit Überreichung seiner Schrift ,Deutsche Bundes-Kriegshäfen als Bedürfnis für eine deutsche Kriegsmarine'."

Es scheint, der Herr Professor sind wieder einmal sehr zerstreut gewesen. Wie gerät dieser Mediziner plötzlich auf die Kriegshäfen? Denkt er noch ein Nelson, ein Collingwood zu werden? Gerade wie der Herr Professor einst aus gelehrter Zerstreutheit nachts beim Schlafengehen die Hose ins Bett legte und sich selbst über die Stuhllehne hing, so hat er gewiß auch jetzt, wo er vielleicht eine Abhandlung über die Seekrankheit schreiben wollte, aus reinem Versehen eine Schrift über die deutsche Flotte zutage gefördert! Ich werde dem Marineausschuß die Verirrung des Herrn Geheimen Hofrats zu notifizieren wissen.

(2563) Petition des Gärtners August Bachmann zu Friedrichswerth bei Gotha um Bewilligung einer Unterstützung zu seiner Reise nach Nordamerika."

Arme Nationalversammlung! Nicht nur für jeden Schornsteinfeger sollst du sorgen, nein, auch der Gärtner Bachmann verläßt sich auf deine Hilfe. Hören Sie mal, Herr Bachmann, bleiben Sie im Lande und nähren Sie sich redlich. Lassen Sie sich für die Nationalversammlung wählen, da bekommen Sie 3 Taler per Tag und eine Katzenmusik extra. Was wollen Sie mehr? Der Prioritäts- und Petitionsausschuß muß bei sehr guter Laune sein, wenn er diese Eingabe berücksichtigt.

(1488) Petition der Frauen und Jungfrauen der Stadt Mannheim um Amnestie der politischen Flüchtlinge und Gefangenen."

Das ist betrübt! Die Frauen werden revolutionär - da hört alles auf! Stoßen wir nicht schon auf genug Hindernisse? Müssen wir auch noch auf die Weiber stoßen, auf die süßesten Hindernisse, die es für eine Zentralgewalt geben kann? Oh, dieses Zentralhandwerk ist ein schlimmes Amt für alte Leute!

(741) Eingabe von Schneider und Bellebaum in Siegen, die Aufhebung der Hasardspiele und Lotterien betreffend."

Diese Leute haben gewiß in Ems verloren.

(746) Petition mehrerer Einwohner zu Ostritz um Fortbestehen der Lotterien."

Diese Leute haben gewiß in Ems gewonnen. Ich finde den größesten Widerspruch in diesen beiden Petitionen. Um beide Teile zu versöhnen, wird man am besten tun, die Sache auf die lange Bank zu ziehen.

(1171) Zwei Petitionen von der Stadt Lage und der Dorfschaft Heyden im Fürstentum Lippe, Wünsche bezüglich der Neugestaltung Deutschlands enthaltend, übergeben vom Abgeordneten Schierenberg."

Herr Schierenberg ist ein anspruchsloser Mann, er stellt seine Talente unter den Scheffel. Wenn ich mich nicht sehr irre, so hat er nur ein einziges Mal gesprochen und die richtige Bemerkung gemacht, daß Kopernikus ein ausgezeichneter Mann gewesen sei. Übrigens beweisen die Petitionen des ehrenwerten Abgeordneten, daß die Ideen der Neuzeit sogar bis in den Teutoburger Wald gedrungen sind. Was mag uns die Stadt Lage zu sagen haben und was die Dorfschaft Heyden? Das Fürstentum Lippe produzierte bisher nur Flachs, Meerschaumpfeifenköpfe und Poeten - Seit wann treibt Lippe Politik? Daß man Politik in Paris treibt, in Frankfurt oder in Wien: das ist natürlich; aber in Heyden - nein, das ist enorm, das ist lächerlich! Ich werde bei meinem Minister des Innern darauf antragen, daß man das Fürstentum Lippe unter polizeiliche Aufsicht stellt.

(2564) Petition des Rabbiners Moses zu Schwerte um Amnestie für seine Tochter Fanny."

Arme Fanny! Was hat Fanny getan? Zartes Wesen, wie, wo und wann hast du gesündigt? Ist dir Gott im feurigen Busch erschienen, Fanny Moses? Sahst du von der Spitze des Venusberges alle Wunder des Gelobten Landes? Oh, ich begreife die Trauer deines Vaters. An den Wassern zu Schwerte wird er sitzen, dieser alte Rabbiner, und seine Harfe hängen an die Weiden und weinen und klagen, wenn er an Fanny gedenkt. Es versteht sich von selbst, daß ich diese Liebesgeschichte mit einer besondern Empfehlung an den Prioritäts- und Petitionsausschuß verweise.

(1430) Eingabe des Bürgermeisters Brand und einiger andern Einwohner vom Simpelfeld in Limburg, die Trennung Limburgs von den Niederlanden betreffend."

Wohllöbliche Bürger von Simpelfeld, ihr seid auf der rechten Straße; Bürger von Simpelfeld, ich liebe euch! Der Limburger Käse will sich vom Stockfisch trennen. Wer hätte gedacht, daß solche Idee aus Simpelfeld kommen würde? Ja wahrlich, lieber wollte ich doch eine Trüffel in der Bratensauce sein als ein Holländer in seinem wäßrigen Klima. Der Limburger Käse muß gegen den holländischen Käse rebellieren. Es lebe die große Käseschlacht! Der moralische Nachdruck der deutschen Zentralgewalt wird den Bürgern von Simpelfeld nicht fehlen.

(2930) Eingabe des pensionierten Knabenschullehrers Franz Schäfer zu Dettelbach, seine Pensionierung betreffend."

Dieser Mann scheint mit dem Kaminfeger Friedrich Christmann, mit dem Gärtner Bachmann und dem Rabbiner Moses auf derselben Stufe zu stehn. Er geht mit der hochverräterischen Absicht um, dem deutschen Reichsbudget auf eine sehr bedauerliche Weise zur Last zu fallen. Aber das ist unmöglich. Wir sollen für die deutsche Flotte sorgen, für die deutschen Reichstruppen und für den Knabenschullehrer aus Dettelbach. Lieber Herr Schäfer, das geht nicht. Das einzige, was ich für Sie tun kann, ist, daß ich Sie einer Reichs-Zentral-Bemitleidungs-Kommission überantworte, die gewiß nach Kräften Ihre fatale Lage bedauern wird.

(716) Adresse von 374 auf der Wartburg versammelt gewesenen Studenten Deutschlands d. d. 13. Juni, enthaltend eine Begrüßung der Nationalversammlung und Verwahrung gegen Republik."

Ach, das ist ein Aktenstück, welches mir das wohltätigste, komfortabelste Gefühl verursacht! Sollte man es denken, Studenten verwahren sich gegen die Republik? Oh, diese jungen Leute, die schon im Burschenrock so biedre Denkungsart hegen, von wie trefflichen Gesinnungen werden sie erst beseelt sein, wenn sie dereinst ins Philisterium hinüberschlummern, um als grüne Referendare der Welt von besonderm Nutzen zu sein! Ich sehe es, das verderblich junge Blut der Universitäten fängt an auszubrausen. Diese 374 Studenten der Wartburg haben aus Luthers Tintenfaß die echte Begeisterung gesoffen.

(795) Eingabe von Schlechter in Köln, das Wohl des Arbeiterstandes betreffend."

Wie, auch du, Brutus? Auch du, Bürger Schlechter? Oh, der du der heiligen Stadt Köln berühmtester Autor bist, der du sie alle überragst, die stolzen Stadtsänger, der du der Homer der Annoncen bist: sei mir willkommen, willkommen!

(3016) Eingabe von Bauerschubert und Konsorten zu Tulba in Unterfranken, unter dem Titel: Einzig wahres, natürliches, kostenfreies Mittel, in der einfachsten, kürzesten und sichersten Weise die deutsche Nation rasch zum mächtigsten, größten und edelsten Volke zu erheben."

Nein, das ist zu toll! Diese Leute in Tulba sind ja wahre Hexenmeister. Kostenfrei, einfach, kurz und sicher das mächtigste, größte und edelste Volk zu werden: Herr Bauerschubert! Herr Bauerschubert! Ich zweifle wahrhaft nicht daran, daß Sie ein ausgezeichneter und höchst erfinderischer Mann sind, aber sollte es nicht möglich sein, daß Sie den Wert Ihrer Medizin doch in etwa überschätzten? Geben Sie Ihr Mittel in Pulvern, flüssig oder in Pillen? Und wieviel Eßlöffel voll soll das deutsche Volk stündlich davon nehmen? Heiliger Gott, welch eine Riesenmedizinflasche und welch ein Riesenlöffel wäre bei diesem Experimente nötig? Übrigens wäre es prächtig, wenn wir plötzlich alle miteinander große, mächtige und edle Menschen würden! Was würden die Herrn Raveaux und Venedey oder der Bürger Schlechter sagen, wenn sie eines Morgens ganz wider alles Erwarten als große Männer aufständen!

"Ich werde die Medizin der Herren Bauerschubert und Konsorten dem Verfassungs-Ausschuß zu einer speziellen Analyse empfehlen."
So sprach ich, und sinnend stützte ich mein altes erzherzogliches Haupt. Da klopfte es draußen vernehmlich an die Tür. "Es wird eine Deputation von der äußersten Rechten sein -" Ich öffnete. Da war es einer unsrer Setzer von der äußersten Linken.

"Manuskript!" befahl er in barschem Tone, und im Nu entführte er diesen meinen herrlichen Aufsatz.



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Letzte Änderung: 15. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/wuensche.html