I. Bauern und Adel 1848


Wilhelm Wolff


III. Die Ablösung der Feudallasten


Wilhelm Wolff

Die schlesische Milliarde

II. Die Steuern

Seit den letzten dreißig Jahren haben allein die schlesischen Dorf»untertanen« ihrer gottbegnadeten Ritterschaft 80 Millionen Taler im Wege der Ablösung und zirka 160 Millionen Taler an nicht abgelösten gutsherrlichen Abgaben und Fronden, zusammen eine Summe von 240 Millionen Talern ausgeantwortet. Und nun sage man noch, daß das »Gottesgnadentum« nichts nütze, nicht einträglich sei! Jene Summe ist indes nur der Ertrag einer direkten Prellerei, einer Prellerei, die natürlich stets mit dem Nimbus »wohlerworbner Rechte« umkleidet wurde. Wie's mit Erwerbung dieser »raubritterlichen Rechte« beschaffen ist, davon legt nicht bloß jede Seite der mittelalterlichen Geschichte, sondern jedes Jahr bis auf die allerneueste Zeit das lauteste Zeugnis ab. Das mittelalterliche Ritterschwert wußte sich später ganz herrlich mit dem Gänsekiel des Juristen und der Beamtenhorde zu verbünden. Aus der Gewalt wurde mittelst einer Kartenschlägervolte das »Recht«, das »wohlerworbne Recht« fabriziert. Ein Beispiel aus dem vorigen Jahrhundert. In den achtziger Jahren wurden für Schlesien auf Veranlassung des dortigen Adels Kommissionen zur Feststellung der Urbarien, der gutsherrlich-bäuerlichen Leistungen und Gegenleistungen, niedergesetzt. Die meisten Dominien stützten sich bis dahin mit ihren Forderungen an ihre »Untertanen« auf Herkommen und Gewohnheit. Es drängte sie, ihren
beutelschneiderischen Ansprüchen die Form und den Schein der Legalität umzuhängen. Die Kommissionen, aus Adligen und ihren Kreaturen zusammengesetzt, arbeiteten vortrefflich - im Interesse der Aristokratie. Gleichwohl gelang es den hohen Herren bei weitem nicht überall, sogenannte konfirmierte Urbarien zustande zu bringen. Wo es ihnen aber gelang, geschah es nur durch Gewalt oder Betrug. Die jetzige Generation in Schlesien wüßte so gut wie nichts über die Art und Weise, konfirmierte Urbarien anzufertigen, wenn nicht in mehreren dieser Urkunden der Hergang selber verzeichnet wäre. Ganz naiv wird in der Einleitung zu einer Anzahl solcher Schriftstücke angeführt, daß die Bauern nicht unterkreuzen gewollt (schreiben konnten nur äußerst wenige) und daß sie teils durch Androhung, teils durch wirkliche Anwendung von Waffengewalt zur Unterschrift, das heißt zum Unterkreuzen, der sie und ihre Nachkommen übervorteilenden Urkunde gezwungen wurden. Auf Grund solcher »wohlerworbnen Rechte« haben die Herren Ritter in Schlesien während der letzten dreißig Jahre jenes artige Sümmchen von zirka 240 Millionen Talern aus dem Schweiß und Blut des Bauernstandes in ihre ahnenstolzen Geldkisten hinüberzudestillieren gewußt.

Zu dieser direkten Prellerei kommt noch die indirekte, zum unmittelbaren Raub der mittelbare.

Unter der indirekten Prellerei nimmt die Grundsteuer die erste Stelle ein.

Friedrich II. ließ im Jahr 1749 ein Steuerkataster in Schlesien anfertigen. Den Bauern wurde eher mehr als weniger Boden in die Liste verzeichnet. Die Herren Ritter dagegen, als die allein Gewaltigen, ließen aufschreiben, wieviel ihnen eben bequem war. Standesinteresse, Bestechung, Einschüchterung leisteten das mögliche. In jenem Kataster wurde der Ertrag eines Morgens kultivierten Landes zu einem Taler schlesisch veranschlagt und danach die Grundsteuer von den Bauern und von den Rittergütern erhoben. Nach dem nämlichen Maßstabe mußten und müssen die Kreisbeiträge, die Abgaben für die Kreuzburger Landarmenanstalt, für Irren- und Korrektionsanstalten und für eine Menge andrer Zwecke entrichtet werde.

Zur Zeit der Katasteraufnahme herrschte die Dreifelderwirtschaft. Ein Drittel der Ackerfläche mußte jedes Jahr zur Brache liegengelassen werden. Dieses brache Drittel wurde im Kataster nicht aufgenommen. Der Taler Ertrag bezieht sich nur auf die übrigen jährlich kultivierten zwei Drittel. Mit Abschaffung der Dreifelderwirtschaft und jährlicher Bebauung der gesamten Morgenfläche, also mit Einführung der modernen Agrikultur, gewannen die Rittergüter, die bisher Grundsteuer gezahlt, natürlich in einem ganz andern Verhältnis als der »kleine Mann«, der zum Beispiel im Besitz von drei Morgen Landes nun jährlich alle drei bebaut, während er früher nur zwei anpflanzen durfte und den dritten für die herrschaftlichen Schafe, Schweine, Kühe usw. als Brachweide reservieren mußte. Der Rittergütler mit 1200 Morgen - um einen der kleinern herauszunehmen - gewann jetzt von 400 Morgen, die früher brach gelegen, seinen Jahresertrag. Allein die Grundsteuer und die übrigen auf das Kataster von 1749 gestützten Abgaben wurden nach wie vor in dem nämlichen Verhältnis gefordert und geleistet. Nicht genug. Der Rittergütler ließ seine Waldungen ausroden und machte Wiesen oder Ackerland daraus. Nach und nach wurden die breiten Grenzraine, die breiten Graben- und Wiesenränder, Auen und Flächen innerhalb des Dorfes, kurz jedes irgend benutzbare Fleckchen von den »gnädigen« Herren konfisziert und in Ackerland verwandelt. Die Grundsteuer und die übrigen Abgaben der hohen Herren - insoweit sie überhaupt Steuer zahlten - blieben unverändert. Die drei, vier und mehr Morgen des »kleinen Mannes« wuchsen nicht; er hatte weder Waldungen umzuschlagen noch breite Grabenränder usw. umzuackern. Schon bei Anlegung des Katasters durch falsche Morgenzahl aufs ärgste begünstigt, sah der Ritter sein Vorrecht noch fernerhin stets gemehrt und erweitert.

Wir wollen indes die Zeit vor 1810 ganz beiseite lassen und uns an die darauf folgende halten.

Daß 1810 die »Erbuntertänigkeit« unentgeltlich aufgehoben wurde, versetzte die Herren Ritter in äußerste Wut. Mehrere schworen in der ersten Zorneswallung dem preußischen König Urfehde ob solchen Eingriffs in ihre »wohlerworbnen Rechte«. Und doch war der preußische König sehr unschuldig daran. Nicht ihm, sondern den Franzosen, dem Kaiser Napoleon, verdankt die Bauernschaft in den östlichen Provinzen die Erlösung von der Schmach der Erbuntertänigkeit.

Napoleon mußte erst das preußische hochnäsige Kraut-Junkertum bei Jena zusammenhauen, damit die preußische Regierung zu dem Erlösungsgesetz gezwungen werden konnte.

Das ist die unzweifelhafte Wohltat, die Millionen von preußischen Bauern dem Napoleon zu verdanken haben Dagegen beging er aber eine ebenso arge Missetat. Sie bestand darin, daß er nicht, wie in andern Fällen, sofort dekretierte: »Das Haus Hohenzollern hat aufgehört zu regieren.« Es war eine arge Missetat, daß er im Frieden zu Tilsit überhaupt noch ein Preußen bestehen ließ, statt sämtliche Provinzen, nach vorgängiger unentgeltlicher Abschaffung aller Feudallasten und Einführung des französischen Gesetzbuchs, in französische Departements oder unabhängige Staaten zu verwandeln. Die Rheinprovinz, die zwanzig Jahre unter französischer revolutionärer Herrschaft stand, kennt seitdem keine Feudallasten mehr, und jeder rheinische Bauer ist freier Grundbesitzer. Genug, Napoleon tat es nicht. Die Nemesis hat ihn dafür ereilt, und die preußischen Bauern, namentlich die schlesischen, haben für diese seine Unterlassungssünde bis auf den heutigen Tag unglaublich dulden und bluten müssen.

Das Gesetz über Abschaffung der Erbuntertänigkeit vom Jahr 1810 konnte den Bauern unmöglich genügen. Blieb doch die schwerste Last, die gutsherrlichen Abgaben und Fronden, nach wie vor auf ihre Schultern gepackt. Dort, wo sie, wie in Oberschlesien, auch diese Last abzuwälzen versuchten, wurden sie mittelst Kugeln und Bajonetten zum gutsherrlichen Gehorsam zurückgezwungen. Desto mehr hofften sie auf endliche Freiwerdung, wenn erst der »welsche« Feind hinausgeschlagen sei. An den herrlichsten Versprechungen von oben herab fehlte es nicht. Durch sie begeisterte man das Volk zur Teilnahme an den sogenannten Freiheitskriegen. Unter diesen gottbegnadeten Verheißungen war auch die, daß künftig jeder nach seinen Kräften zu den Steuern an den Staat beitragen solle.

Als aber das Volk mit seinem Blut die geborstnen Throne »von Gottes Gnaden« wieder zusammengekittet und die europäische Konterrevolution in Schlachten und auf Kongressen ihre Siege und Bacchanalien gefeiert hatte, da zahlte die Ritterschaft gradeso wie früher nach dem alten betrügerischen und immer ungerechter werdenden Kataster. Wenn wir sagen: die Ritterschaft, so ist das hier recht eigentlich: pars pro toto. Das heißt, ein großer Teil der Ritterschaft, grade derjenige Teil, der die größten und einträglichsten Güterkomplexe besitzt, hat unter dem Titel von »wohlerworbnen Rechten« als mediatisierte Standesherren bis jetzt noch nicht einen Deut Grundsteuer gezahlt.

Rechnen wir das, was die Herren Ritter in den letzten dreißig Jahren bloß an Grundsteuer zuwenig oder gar nicht gezahlt haben, auf 40 Millionen Taler - und das ist wahrlich noch eine Rechnung unter Brüdern -, so macht dies mit den auf direkte Weise aus den Taschen des schlesischen Landvolks geraubten 240 Millionen eine Summe von 280 Millionen.

Das ist die schlesische Milliarde! Wir kämen weit über sie hinaus, wollten wir alle übrigen raubritterlichen direkten und indirekten Prellereien mit ins Konto setzen.

Da nun die Herren Ritter mit erneuter Lust auf ihrem Steckenpferd der »Entschädigung« herumreiten, so ist's Zeit, daß der Bauer nun endlich einmal auch sein eignes Entschädigungsroß besteigt. Die Herren Ritter wollen das mittelalterliche, das feudale Eigentum, das sie bisher unter dem Namen von »Grundzinsen, Spinn-, Hühner-, Wächter-, Eier-, Besen-, Schornsteinfeger- und Schutzgeld«, von »Roboten oder Hofediensten«, von »Getreide- und andren Naturallieferungen« ausbeuteten, geschwind noch in bürgerliches, in allermodernstes Renten- oder Pfandbriefeigentum verwandeln. »Entschädigung« nennen sie den Verwandlungsprozeß.

Nun gut, da ihr nicht müde werdet, von »Entschädigung« zu schwatzen, und so unklug seid, das Prinzip des aus dem vorigen Jahrhundert her noch jetzt in Schlesien renommierten Erzgauners Exner - der die reichen Müller nur gegen eine äquivalente Geldsumme mit dem Besuch seiner Räuberbande verschonte - auch künftig festhalten zu wollen, so wundert euch nicht, wenn der schlesische Bauer endlich die Kreide herausnimmt, euch die Rechnung macht und in den Ruf der »Entschädigung« mit einem Ton einstimmt, der euch bald durch ganz Schlesien auf hohen und niedern Schlössern höchst unheimlich um die Ohren gellen wird.

Der schlesische Bauer wird nicht eher ruhig werden, bis ihr ihn entschädigt, bis ihr ihm die abgeprellten 280 Millionen zurückerstattet habt. Er kennt grade soviel Naturgeschichte, um zu wissen, wie man den vollgesognen Blutegel wieder entleert. Die Zinsen läßt er euch durch Steineklopfen oder Wollespinnen, Kälberhaarzupfen usw. abverdienen. So kommt ihr endlich zu eurem »wohlerworbnen Recht«, und der Landmann zu dem seinigen, das heißt zu den 280 Millionen, um die er während dreißig Jahren raubritterlich betrogen wurde.

Aus den schlesischen Blutströmen, die von 1813 bis 1815 für den wankenden Thron der Hohenzollern so reichlich vergossen wurden, keimte bald nach dem Frieden eine köstliche Saat hervor. Statt Befreiung verdoppelte Knechtschaft, statt Erleichterung steigende Überbürdung. Fortdauer der alten Lasten unter altem Namen oder Verwandlung des alten Namens in einen neuen, modernen, einträglicheren.

Die Scheidewand zwischen Stadt- und Landkommunen nicht bloß aufrechterhalten, sondern verstärkt. Die Dorfgemeinde als willenlose Herde dem »gnädigen« Gutsherrn überantwortet, der zugleich Polizeiherr ist und durch seinen Patrimonialrichter das Schwert der »heiligen« altpreußischen Justiz über den Häuptern des Bauernvolks schwingen läßt. Der Gerichtsschulze und seine Beisitzer, von den Gutsherren ernannt, oder reiche Erbscholzen, die am Markttag sich glücklich fühlen, mit den Herren Rittern einige Flaschen Wein ausstechen und bezahlen zu dürfen; der sogenannte Gemeindevorstand mithin ganz zur Verfügung des raubritterlichen Systems. Weiterhin auch der »gnädige« Herr Landrat, aus und von den Rittern, das heißt im Interesse der letztern, erwählt und in diesem Interesse, welches sein eignes ist. Treffliches leistend. Wohin der Landmann blickt, überall seine offnen oder geheimen Feinde; wohin er tritt, liegt ein Fangeisen, ein Schraubstock oder ein Schröpfkopf »von Gottes und der Raubritter Gnaden« in seinem Weg. Erst zehntet er an die Kirche, dann an den Dominialherrn, und endlich trägt er den Rest seines Schweißes ins königliche Steueramt. Bei den Gemeindelasten ist er der Esel, dem der »gnädige« Herr soviel aufpacken läßt als nur immer möglich. Er baut die Vizinalwege und die Kreisstraßen, damit die dominialvergnügte Ritterschaft bequem dahinrollen kann zu Bällen, Jagdpartien und andren Festlichkeiten der fröhlichen Adelskette. In den Kreisständen hat die gesamte Bauernschaft des Kreises drei Vertreter, dagegen die Ritterschaft so viel Stimmen, als Ritter im Kreise sind. Daß letztere bei den Ausgaben für den Kreis lieber aus dem Speck der Bauern als aus dem eignen schneiden, liegt auf der Hand.

Wie's dem Bauer mit der Grundsteuer den Herren Rittern gegenüber erging, haben wir oben gesehn. Hier müssen wir noch einer andren königlichen Steuer - der Klassensteuer - gedenken. Da die Herren Ritter einmal auf »Entschädigung« für »wohlerworbne Rechte« erpicht sind, so ist's gut, wenn das Volk weiß, wieviel es ungefähr auch unter der Rubrik »Klassensteuer« von der gottbegnadeten Sippschaft zurückzufordern hat. Die von der Klassensteuer völlig befreiten hohen Herren lassen wir einstweilen beiseite.

Die höchste Klassensteuerstufe umfaßt bekanntlich diejenigen, welche monatlich 12 Taler, also jährlich 144 Taler entrichten, auf der niedrigsten Stufe dagegen wird monatlieh 1 Silbergroschen 3 Pfennig, jährlich 1/2 Taler gezahlt. Auf einer der Zwischenstufen befinden sich die Bauern mit zwei bis drei Hufen Landes und 2 Taler monatlicher oder 24 Taler jährlicher Klassensteuer. Auf den Stufen weiter hinab die kleinern Ackerleute. Nehmen wir einen aus der Masse heraus. Er besitzt acht Morgen Landes von mittlerer Qualität, entrichtet eine Masse Abgaben an den »gnädigen« Herrn, muß ihm jährlich eine Menge Hofedienste tun und zahlt dabei an Klassensteuer monatlich 7 Silbergroschen 6 Pfennig, jährlich 3 Taler. Ihm gegenüber steht ein »gnädiger« Herr mit ausgedehntestem Grundbesitz, mit Wäldern und Wiesen, mit Eisenhütten, Galmeigruben, Kohlenbergwerken usw., zum Beispiel der Erzheuler, Russenfreund, Demokratenfresser und Deputierte der Zweiten Kammer, Graf Renard. Dieser Mann hat ein jährliches Einkommen von 240000 Talern. Er entrichtet auf der höchsten Stufe monatlich nicht mehr als 12 Taler Klassensteuer, jährlich 144 Taler. Im Verhältnis zu jenem Rustikalbesitzer mit den acht Morgen hätte er jährlich mindestens 7000 Taler Klassensteuer zu zahlen gehabt, macht in zwanzig Jahren 140 000 Taler. Er hat also in zwanzig Jahren zuwenig eingezahlt: 137120 Taler.

Dem Landvolk wurde vor und während der sogenannten Freiheitskriege die königliche Verheißung wiederholt zugeschworen, daß künftighin alle Staatsbürger gleichmäßig zu den Staatslasten beitragen sollten. Es ist und bleibt dies für das Volk ein durch Blut und Opfer aller Art »wohlerworbnes Recht«. Wie es in dieser Hinsicht jahraus, jahrein beeinträchtigt worden, erhellt aus dem oben Gesagten. Wegen Verkürzung dieses »wohlerworbnen Rechts« hat der Bauer alle Ursache, die vollste »Entschädigung« zu fordern. Die Herren Ritter werden bloß unter dieser Rubrik ein schönes Sümmchen nachzuzahlen haben. Mögen sie dann, wenn der Tag der Ausgleichung beginnt, nicht jammern. Sie haben so laut ihre »wohlerworbnen Rechte« ins Land hineingeheult und in dem Artikel »Entschädigung« so nette Geschäftchen gemacht, daß der Bauer ein vernagelter Klotz sein müßte, wenn er nicht endlich auch einmal seine »wohlerworbnen Rechte« hervorlangte und sich auch einmal in dem bisher für die hohen Herren so ergiebigen »Entschädigungsgeschäft« versuchte.

Bei der Klassensteuer kommt nicht bloß der sogenannte Bauer oder der Rustikalbesitzer im allgemeinen in Anschlag; hier handelt es sich zugleich um die »wohlerworbnen Rechte« aller, welche Klassensteuer zahlten und zahlen. Verweilen wir einen Augenblick bei der untersten Steuerstufe; für Herrn Grafen Renard und Genossen werden sich da noch ganz andere Sümmchen, die sie uns bis jetzt Rest geblieben sind, herausstellen.

Ein Hofeknecht mit 10 Talern jährlich Lohn zahlt von dieser Jahreseinnahme an den Staat 1/2 Taler Klassensteuer, oder 5 Prozent seines baren Einkommens. Herr Graf Renard entrichtete bisher von seinen 240 000 Talern jährlichen Einkommens nur 144 Taler oder 1/50 Prozent; das heißt, der Großknecht zahlt jährlich verhältnismäßig dreiundachtzigmal soviel wie der edle Graf Renard. Der edle Renard müßte im Verhältnis zum Hofeknecht aber steuern wenigstens 12 000 Taler.

Er hat mithin in den letzten zwanzig Jahren 237120 Taler zuwenig gezahlt.

In der niedrigsten Klasse steuert die Hofegärtnersmagd bei einem Jahreslohn von 6 Talern ebenfalls jährlich 1/2 Taler oder 8 1/3 Prozent von ihrem Einkommen.

Im gleichen, gar nicht einmal progressiven Verhältnis zu der Hofegärtnersmagd hätte Herr Graf Renard jährlich 20 000 Taler oder in den letzten zwanzig Jahren 400 000 Taler Klassensteuer zu zahlen, er hat während dieser Zeit aber nur 2880 Taler gezahlt, also zuwenig 397 120 Taler. Mit andern Worten, die Hofegärtnersmagd hätte im Verhältnis zum Herrn Grafen Renard jährlich nur zirka 2 1/8 Pfennige zu bezahlen gehabt. Sie hat daher von ihrem sauer verdienten Lohn, immer das gleiche Verhältnis angenommen, in dem nämlichen Zeitraum zirka 9 Taler 26 Silbergroschen 5 Pfennig zuviel an Klassensteuer entrichtet.

Aber freilich, hätten die Dienstboten, Taglöhner, Häusler, Gärtner, Handwerker usw. nicht mehr gezahlt als Herr Graf Renard, zum Beispiel ein Dienstbote, Taglöhner usw. jährlich nur 2 1/8 Pfennige Klassensteuer, woher hätten denn die Tafelgelder für die Generale »Meines herrlichen Kriegsheeres«, woher die hohen Pensionen, woher die Geschenke von 4000, 6000, 10 000 bis 30 000 Taler an reiche Adlige mit und ohne Staatsdienst, woher die Gelder zu einem goldnen Schild für den lieben Paten, den englischen Prinzen von Wales, woher die Summen für Don Carlos und für die christlich-germanische Marotte und gute anglikanische Spekulation mit dem Bischoftum von Jerusalem usw. usw. beschafft werden sollen?

Es läßt sich leicht ermessen, wie groß die von den »Fürsten, Grafen und Herren« bloß an Klassensteuer nachzuzahlende Summe sein muß, wenn schon ein einziges Mitglied, Herr Graf Renard, mit einem so bedeutenden Sümmchen restiert.

Nach dem landesväterlichen Willen von Friedrich Wilhelm IV., Eichhorn-Ladenberg und der übrigen christlich-germanischen Genossenschaft sollte die Volksschule (man vergleiche die Eichhornschen Reskripte bis Anfang 1848) sich lediglich auf Lesen, Schreiben und das notdürftigste Rechnen beschränken. Die vier Spezies wären also dem Landvolk immerhin erlaubt geblieben. Es bedurfte indessen der Volksschule nicht, um dem Landmann die verschiedenen Spezies, namentlich das Subtrahieren, Ab- oder Entziehen, beizubringen. In Schlesien wenigstens hat die gottbegnadete Raubritterschaft so viel an ihm herum- und von ihm heraussubtrahiert, daß er nun seinerseits bei der ersten besten Gelegenheit in dieser Spezies des Subtrahierens, auf die hohen Herren angewandt, ganz famos bestehen dürfte.

In dem Subtraktionsexempel des schlesischen Landmanns befindet sich unter anderem auch ein Posten, dessen Erwähnung den hohen und niedern ritterlichen Herren ganz absonderlich zuwider ist. Er kam bereits im Frühjahr und Sommer vorigen Jahres auf mehreren Bauernversammlungen zur Sprache. Er betrifft die Rückforderung der »wüsten Huben«. Wenn ihr, hohe Rittersherren, so sehr auf eure »wohlerworbnen Rechte« pocht und die euch bisher so schmackhafte und zuträgliche »Entschädigungskost« fortzusetzen gedenkt, so werdet doch nicht gleich so wütig über eure »geliebten« Dorf»untertanen«, daß sie ihre »wohlerworbnen«, wenngleich seit längerer Zeit verloren gegangnen, durch ritterliche Gewalt oder Eskamotage entrissenen »Rechte« auch ihrerseits geltend zu machen suchen. Ihr wißt ja sehr gut, liebe hohe Herren, was es mit den »wüsten Huben« in den allermeisten Fällen für eine Bewandtnis hat. Eure Vorgänger oder auch eure Ahnen benutzten zur Zeit der Erbuntertänigkeit ihre Allgewalt im kleinen, wie Ludwig XIV. die seinige zuvor benutzt hatte mittelst der berüchtigten Reunionskammern. Nur mit dem Unterschied, daß eure Ahnen oder Vorbesitzer nicht viel Wesens von der Geschichte machten, sondern still und ohne Aufsehn zu Werke gingen.

Überall wo im vorigen Jahrhundert durch Krieg, Epidemien, Feuerbrünste und andre Unfälle Rustikalwirte zugrunde gingen, da war der Patrimonialherr schleunig bei der Hand, um entweder den Acker der betreffenden Rustikalstelle ganz oder doch zum größten Teile seinem Dominium einzuverleiben. Grundsteuer, Haussteuer und die übrigen Lasten hütetet ihr euch wohl mit hinüberzunehmen. Diese mußten fort und fort entweder die ganze Gemeinde oder der nachfolgende Besitzer tragen, der oft nur den dritten, den sechsten, den achten Teil der früheren Bodenfläche, aber alle früheren Steuern, Abgaben und Leistungen in den Kaufbrief gesetzt erhielt. Ähnlich machtet ihr's mit Gemeindeweiden und -äckern, wenn zum Beispiel die obenerwähnten Ursachen eine mehr oder weniger vollständige Entvölkerung des Dorfes herbeigeführt hatten. Diese und noch andre Gelegenheiten benutztet ihr, um soviel Ländereien als möglich zusammenzuschlagen.

Die Gemeinden aber und die einzelnen Rustikalen mußten die Gemeinde-, Kirchen-, Schul-, Kreis- und andere Lasten unvermindert tragen, als wenn ihnen nicht das mindeste abhanden gekommen wäre. Ihr habt fortwährend den Ertrag davon gezogen und nicht einmal die geringen Abgaben geleistet, die ihr wenigstens für eure übrige Morgenzahl zu entrichten geneigt waret.

Allerdings verursacht euch schon der Gedanke an diesen und manchen andern Subtrahendus im bäuerlichen Subtraktionsexempel Bauchgrimmen: allein, ihr hohen und niedern Ritter, ihr habt's nicht besser gewollt. Der Landmann wird euch antworten:

Mit dem Maß, womit ihr messen wollt, wollen wir euch auch messen!

In eurem wütigen »Entschädigungs«appetit seid ihr blindlings an ein wahres Hornissennest von Volksentschädigungen angerannt; fliegen diese, gereizt wie sie sind, eines Tages hervor, dann könnte euch leicht außer genauester Entschädigung noch eine gute Portion Beschädigung zuteil werden.



I. Bauern und Adel 1848


Wilhelm Wolff


III. Die Ablösung der Feudallasten


Letzte Änderung: 15. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/milliarde2.html