An das deutsche Volk.

Endlich ist die provisorische Zentralgewalt für das gesamte Deutschland durch die National-Versammlung zu Frankfurt a. M. geschaffen. Aber mit Schmerz müssen wir es bekennen; das von der Nationalversammlung gegebene Gesetz, welches die Zentralgewalt ins Leben rief, befriedigt nicht unsere Erwartungen, befriedigt nicht die Erwartung, welche das deutsche Volk mit Recht sich davon versprochen hatte. Vielmehr sind dadurch fast alle die Errungenschaften der jüngsten großartigen Erhebung des deutschen Volkes in Frage gestellt, und die alte verwerfliche Politik scheint, nur unter anderem Namen, in unserem Vaterlande wieder Platz greifen zu wollen. Durch dieses Gesetz ist ein Reichsverweser ernannt - über Vierfünfteile der Versammlung wählten dazu einen deutschen Fürsten -! dieser Reichsverweser ist unverantwortlich: ja, er ist nicht einmal verpflichtet, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu verkündigen und zu vollziehen: dagegen ist er gehalten, über alles, was er tut, sich vorher mit den Bevollmächtigten der deutschen Regierungen in Einvernehmen zu setzen.

Deutsches Volk! Als du deine Vertreter zu der konstituierenden Versammlung hierher sandtest, der du die höchste Gewalt, die Souveränität des Volkes anvertrautest, da war es dein Wille, daß von uns Beschlüsse gefaßt und Einrichtungen getroffen würden, welche unsere höchsten Güter, die Freiheit und die Einheit sicherstellten, welche aus dieser zerstückten, zerrissenen und zertretenen Nation einen einigen, freien selbstbewußten Gesamtstaat bildeten, und auf den Trümmern eines unheilvollen freiheitsmörderischen Systems ein neues glanzvolles Gebäude der Volksfreiheit errichteten. Die Versammlung selber hat bei mehreren Gelegenheiten die einzige Quelle ihrer Gewalt, die Volkssouveränität, entschieden ausgesprochen. Nur dadurch war es möglich, daß aus dem Verfassungswerk etwas Großes und Befriedigendes wurde. Aber durch das neue Gesetz über die Zentralgewalt ist dieser Grundsatz erschwert, unsere ganze politische Zukunft ist dadurch in Frage gestellt.

Die Versammlung hat ein unverantwortliches Oberhaupt für Deutschland erwählt. Hierdurch hat sie sich des Rechtes entäußert, welches das Volk ihm anvertraut: sie hat die Volkssouveränität preisgegeben: sie hat sich einen Herrn gesetzt, welcher nicht unmittelbar aus dem Volke seine Gewalt herleitet, sondern welcher, wie das bisherige Fürstentum, außer dem Volke steht.

Dies erhält erst sein Gewicht durch die zweite Bestimmung, daß der Reichsverweser nicht verpflichtet ist, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu verkündigen und zu vollziehen. Er ist dadurch gesetzlich unabhängig von der Nationalversammlung und lediglich von seinem guten Willen hängt es ab, ob er die Beschlüsse derselben vollziehen will, oder nicht.

Also der Wille der Nation, welche in der Versammlung repräsentiert sein soll, ist nicht geachtet: er soll kein Organ haben. Dagegen soll sich der Reichsverweser bei seinen Handlungen mit den Bevollmächtigten der deutschen Regierungen in Einvernehmen setzen! Was heißt dies anders, als daß das von der Nation verworfene System der Zersplitterung wieder ins Leben gerufen werde? Denn diese Repräsentanten der Regierungen sind doch nichts weiter als der alte Bundestag, der zwar ausdrücklich aufgehoben wurde, aber nun, bloß unter anderem Namen, dennoch fortbesteht ? Also noch einmal soll sich das alte Spiel erneuern! Noch einmal soll das Volk um seine Hoffnungen betrogen werden! Noch einmal soll die Zersplitterung und engherzige Fürstenpolitik siegen über die Einheit und Freiheit des deutschen Volkes!

Dieses Spiel konnte man bereits bei der Wahl des Reichsverwesers durchschauen. Der Bundestag hat offen erklärt, daß schon vor Schluß der Beratung über die schwebende Frage die einzelnen deutschen Regierungen ihre Zustimmung zu der getroffenen Wahl gegeben hätten! Gewinnt es nicht dadurch den Anschein, als ob die ganze Beratung und Entscheidung im Sinne der Nationalversammlung nur ein leeres Spiel gewesen, indem vorher die Diplomaten bereits alles miteinander ausgemacht und darnach die Fäden gesponnen hatten? Wahrlich! in diesem Falle müssen die Männer, welche dabei ehrlich verfuhren, sich schamrot gestehen, daß sie abermals mißbraucht worden sind, um statt der Freiheit dem Interesse der Dynastien zu dienen!

Die Minderheit hat in dem Kampfe um die Zentralgewalt alles aufgeboten, um dem Volke seine Rechte zu bewahren. Aber sie ist erlegen vor der Mehrheit. Nachdem sie nun aber in diesem ungleichen Kampfe vor dem numerischen Übergewicht hatte weichen müssen, hielt sie es für ihre Pflicht, gegen das ganze Gesetz über die Zentralgewalt zu stimmen, und ein Teil der Minderheit - 25 an der Zahl konnte es auch nicht über sich bringen, an der Wahl eines unverantwortlichen Reichsverwesers teilzunehmen, der nicht einmal die Verpflichtung hat, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu vollziehen. Sie hat sich daher der Wahl enthalten und dadurch, so weit in ihren Kräften stand, die Rechte des Volkes zu wahren gesucht.

Dies hält die radikal-demokratische Partei der Nationalversammlung für ihre Pflicht, zur Kunde des deutschen Volkes zu bringen. Einmal, um vor demselben ihre Handlungsweise zu erklären und zu rechtfertigen und dann, um das Volk über den Stand der Dinge zu unterrichten. Wie gesagt, angesichts der deutschen Nation und ihrer Rechte, welche zu wahren ihre Aufgabe ist, konnte sich die Minderheit nicht entschließen, dem Gesetz über die Zentralgewalt ihre Zustimmung zu geben und einen Reichsverweser zu wählen, dessen Befugnisse und Verbindlichkeiten im Widerspruch mit der Souveränität des Volkes stehen. Sie hat aber auch die Überzeugung, das deutsche Volk in seiner Mehrheit wird die Handlungsweise der Minderheit in der Nationalversammlung billigen, und der entschieden ausgesprochene Wille des Volkes wird bald eine Wendung der Dinge herbeiführen, mächtig genug, die Interessen unseres großen Vaterlandes und der Freiheit zu wahren.

Frankfurt am Main den 1. Juli 1848.

Die radikal-demokratische Partei
der deutschen konstituierenden National-Versammlung.

Alle Zeitungen werden um Aufnahme dieses Manifestes ersucht. Die demokratischen Vereine sind gebeten, dasselbe durch Abdruck zu verbreiten.


Letzte Änderung: 27. May. 2001, Adresse: /deutsch/1848/flugblatt21.html